SächsOVG: Auskunftsrecht eines Gemeinderates gegenüber dem Bürgermeister

Der Umfang der Auskunftspflicht des Bürgermeisters zu Anfragen einzelner Gemeinderäte bietet immer wieder Anlass zu Streitigkeiten. Gemäß Art. 28 Abs. 6 SächsGemO kann jeder Gemeinderat an den Bürgermeister schriftliche oder in einer Sitzung des Gemeinderats mündliche Anfragen über einzelne Angelegenheiten der Gemeinde richten, die binnen angemessener Frist, die grundsätzlich vier Wochen beträgt, zu beantworten sind. Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 06.07.2021 – 4 A 691/20 betraf eine solche Streitigkeit.

Ein einzelner Gemeinderat hatte den beklagten Bürgermeister zum Stand der Umsetzung zweier Gemeinderatsbeschlüsse zum Ausbau mehrerer Radwege sowie zu einem Nutzungskonzept für eine ehemalige Schwimmhalle befragt. Der Bürgermeister lehnte eine Beantwortung ab, weil es sich bei den Fragen nicht um einzelne Angelegenheiten gehandelt habe. Für derartige Anfragen sei gemäß § 28 Abs. 5 SächsGemO ein Fünftel der Gemeinderäte erforderlich. Das Verwaltungsgericht Dresden hatte die Klagen des Gemeinderates auf Feststellung, dass die Auskunftsverweigerung des Bürgermeisters rechtswidrig war, abgewiesen.

Die Berufungen des Gemeindesrates vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht hatten ebenfalls keinen Erfolg. Zwar hätten Gemeinderäte aus § 28 Abs. 6 SächsGemO grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ablehnung der inhaltlichen Beantwortung einer Anfrage durch den Bürgermeister begründet wird. Dies gebiete der im Rechtsverhältnis zwischen den Organen einer Gemeinde geltende Grundsatz der Organtreue. Im Falle der Nichtbeantwortung einer Anfrage komme der Begründung für die Vermeidung von Konflikten besondere Bedeutung zu, weil der Anspruch des Gemeinderats auf Beantwortung aus ganz unterschiedlichen Gründen ausgeschlossen sein könne. Ein Ausschlussgrund liege vor, wenn sich die Anfrage nicht auf eine „einzelne Angelegenheit“ oder nicht auf eine „Angelegenheit der Gemeinde“ beziehe, Rechte privater Dritter der Beantwortung entgegenstehen, die Anfrage geheimzuhaltende Angelegenheiten nach § 28 Abs. 7 SächsGemO betreffe oder die Anfrage rechtsmissbräuchlich sei. Hinsichtlich des Umfangs der Begründungspflicht folge aus ihrem Sinn und Zweck, dass ein pauschales Berufen auf einen der Ausschlussgründe nicht genügt. Grundsätzlich müssten in der Begründung die wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Gründe enthalten sein, die den Bürgermeister zu seiner Entscheidung bewogen haben. Der Grundsatz der Organtreue verlange andererseits vom Gemeinderat, dass er die behauptete Verletzung seiner Rechte gegenüber dem Organ rügt. Ansonsten fehle ihm für ein gerichtliches Verfahren das Rechtsschutzbedürfnis. Mangels entsprechender vorgerichtlicher Rüge konnte der Gemeinderat daher seine Klage nicht auf eine unzureichende Begründung stützen.

Einen Anspruch auf inhaltliche Beantwortung der Fragen verneinte das Sächsische Oberverwaltungsgericht ebenfalls, weil sich die streitgegenständlichen Anfragen nicht auf eine „einzelne Angelegenheit“ bezogen hätten. Darunter sei ein konkreter Lebenssachverhalt zu verstehen. Ein solcher liege vor, wenn er aus Sicht eines objektiven Dritten nach Ort, Zeit und dem Kreis der eventuell betroffenen Personen bestimmbar ist und zwischen diesen Elementen eine inhaltliche Verbindung vorhanden ist. Ob die Beantwortung einer Anfrage zu einem überdurchschnittlich hohen Arbeitsaufwand führt, sei für das Vorliegen einer einzelnen Angelegenheit hingegen unerheblich. Der Gemeinderat müsse den Gegenstand seiner Anfrage entsprechend dieser Anforderungen konkretisieren, andernfalls könne der Bürgermeister die Beantwortung ablehnen, ohne dem Gemeinderat vorher die Möglichkeit zur Änderung der Anfrage einräumen zu müssen. Ob ein Antwortanspruch nach § 28 Abs. 6 Satz 1 SächsGemO mangels einer Anfrage über eine „einzelne Angelegenheit“ ausgeschlossen ist, sei im gerichtlichen Verfahren umfassend zu prüfen. Eine Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfangs auf die vorgerichtliche Ablehnungsbegründung sei im Gesetzestext nicht ausdrücklich vorgesehen.

Die Regelung in § 28 Abs. 3 SächsGemO schließe Anfragen nach der Umsetzung von Gemeinderatsbeschlüssen durch einen Gemeinderat nach § 28 Abs. 6 Satz 1 SächsGemO ebenfalls nicht aus. Nach § 28 Abs. 3 SächsGemO überwacht der Gemeinderat die Ausführung seiner Beschlüsse und sorgt beim Auftreten von Missständen in der Gemeindeverwaltung für deren Beseitigung durch den Bürgermeister. Damit sei zwar dem Gemeinderat als Kollegium die Kontrollaufgabe zugewiesen. Allerdings folge daraus nicht, dass alle Kontrollmaßnahmen nur durch den Gemeinderat als Kollegium ausgeübt werden können. Andernfalls würde die Durchführung der Kontrollmaßnahmen von der Unterstützung durch die Mehrheit der Mitglieder des Gemeinderats abhängen. Durch ein solch hohes Quorum würde nicht nur die Effektivität der Kontrolle erheblich verringert. Eine solche Auslegung würde auch der Regelung des § 28 Abs. 5 Satz 1 SächsGemO widersprechen. Danach kann bereits ein Fünftel der Gemeinderäte in allen Angelegenheiten der Gemeinde verlangen, dass der Bürgermeister den Gemeinderat informiert und diesem Akteneinsicht gewährt. Der Begriff „in allen Angelegenheiten“ sei weit gefasst; er beinhalte daher auch die Kontrolle der Umsetzung von Gemeinderatsbeschlüssen. Richtigerweise seien § 28 Abs. 5 und 6 SächsGemO daher im Verhältnis zu § 28 Abs. 3 SächsGemO als vorrangige Spezialvorschriften zu einzelnen Kontrollmaßnahmen zu verstehen. Das gelte auch im Hinblick auf die Informationspflicht des Bürgermeisters gegenüber dem Gemeinderat nach § 52 Abs. 5 Satz 1 SächsGemO. Ist der Bürgermeister nach § 28 Abs. 6 Satz 1 SächsGemO verpflichtet, eine Anfrage zur Umsetzung eines Gemeinderatsbeschlusses inhaltlich zu beantworten, genüge er deshalb seiner Pflicht nicht, wenn er auf die inhaltliche Beantwortung durch erst künftig zu erwartende Informationen, etwa nach § 52 Abs. 5 Satz 1 SächsGemO, verweist. Denn dem einzelnen Ratsmitglied stehe bei entsprechend konkretisierter Anfrage eine fristgemäße Auskunft zu jeder einzelnen Angelegenheit der Gemeinde zu, soweit er die erbetenen Informationen noch nicht besitzt.

Nach diesen Maßstäben ging das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Ergebnis davon aus, dass es sich bei den streitgegenständlichen Anfragen des Klägers nicht um Anfragen über einzelne Angelegenheiten handelte, weil die Anfragen mehr als einen konkreten Lebenssachverhalt betrafen.

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