Sozialkassen: Erdbeben im Baugewerbe
Das Bundesarbeitsgericht hat in zwei Beschlüssen vom 21.09.2016 Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe „gekippt“.
Die Sozialkassen des Baugewerbes erbringen auf tarifvertraglicher Grundlage Altersversorgungsleistungen sowie Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren. Zu diesem Zweck müssen die Arbeitgeber an die Sozialkassen Beiträge bezahlen, und zwar auch – bei wirksamer Allgemeinverbindlichkeitserklärung – die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber.
Die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 15.05.2008 und 25.06.2010 (AVE VTV 2008 und 2010) sind nach Auffassung des höchsten deutschen Arbeitsgerichts aus zwei Gründen unwirksam, Beschluss vom 21.09.2016 - 10 ABR 33/15. Zum einen handele es sich bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen um Normsetzung, die nach dem in Art. 20 GG verankerten Demokratieprinzip die Befassung des zuständigen Ministers für Arbeit und Soziales erfordere. Eine solche Befassung sei durch die damals zuständigen Minister nicht erfolgt. Zum anderen gebe es keine tragfähige Grundlage für die Annahme des Bundesministeriums dafür, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE VTV 2008 und 2010 in der Baubranche mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt waren.
Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 17.03.2014 (AVE VTV 2014) sei unwirksam, weil sich die zuständige Ministerin für Arbeit und Soziales mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung zwar befasst habe, jedoch die nach dem damaligen Rechtsstand erforderliche 50%-Quote nicht erreicht war, Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21.09.2016 - 10 ABR 48/15.
Nach alledem bestand in den maßgeblichen Zeiträumen nur für tarifgebundene Arbeitgeber die Pflicht zur Beitragszahlung. Ausdrücklich offen ließ das Bundearbeitsgericht allerdings die für die betroffenen Arbeitgeber überaus spannenden Fragen, ob – unter Beachtung der Verjährungsfristen – Rückforderungsansprüche hinsichtlich erbrachter Beitrags- und Erstattungsleistungen bestehen und ob die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen einer Vollstreckung von Beitragsansprüchen aus rechtskräftigen Entscheidungen entgegensteht. Hier dürften noch zahlreiche Rechtsstreitigkeiten zu erwarten sein.