Vaterschaftsanfechtung durch leibliche Väter als Elterngrundrecht

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Urteil vom 09. April 2024 –1 BvR 2017/21 -entschieden, dass die gesetzliche Regelung über das Recht des leiblichen Vaters, die rechtliche Vaterschaft eines anderen Mannes für sein Kind anzufechten, mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, da sie dem Elterngrundrecht leiblicher Väter nicht hinreichend Rechnung trägt.


Die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärte Regelung in § 1600 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 BGB über die Vaterschaftsanfechtung bleibt bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 30. Juni 2025, in Kraft.


Sachverhalt:


Der Beschwerdeführer ist feststehend leiblicher Vater eines 2020 nichtehelich geborenen Kindes und hatte einen Antrag auf Feststellung seiner Vaterschaft gestellt. Mit der Mutter des Kindes führte der Beschwerdeführer eine Beziehung und hatte auch nach der Trennung weiterhin Umgang mit seinem Kind. Nachdem der Beschwerdeführer einen Antrag auf Feststellung seiner Vaterschaft gestellt hatte, erkannte der neue Partner der Mutter die Vaterschaft für das Kind mit ihrer Zustimmung an und ist so dessen rechtlicher Vater geworden.


Im Anfechtungsverfahren hat das Oberlandesgericht in zweiter Instanz den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung, er und nicht der rechtliche Vater sei Vater des Kindes, als unbegründet abgewiesen. Die Vaterschaftsanfechtung des Beschwerdeführers scheitere an der inzwischen bestehenden sozial-familiären Beziehung des neuen Partners der Mutter und rechtlichen Vaters zu dem Kind. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Elternrechts. § 1600 Abs. 2 und 3 BGB in seiner Anwendung durch das Gericht mache es ihm als leiblichem Vater unmöglich, die rechtliche Vaterschaft für das Kind zu erlangen.


Gründe:


Das Gericht gelangte zu dem Ergebnis, dass leibliche Väter als Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) sich ebenso auf das Elterngrundrecht wie die rechtlichen Eltern des Kindes berufen können. Die bisherige Regelung des § 1600 Abs. 2 Alt. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB ist mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar, da sie dem Elterngrundrecht leiblicher Väter nicht hinreichend Rechnung trägt, ohne dass dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.
Das Elterngrundrecht ist durch die Übernahme von Verantwortung für das Kind seitens der Eltern geprägt. Es umfasst nicht allein Rechte im Verhältnis zum und im Umgang mit dem Kind, wie etwa das Sorgerecht, sondern schließt die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes ein. Zu dieser gehört neben der Verantwortlichkeit für das physische, psychische und wirtschaftliche Wohl des Kindes auch, dafür zu sorgen, dass sich das Kind in Ausübung seines eigenen Rechts auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft entwickeln kann. Ist das Elterngrundrecht mit dem Innehaben von Elternverantwortung verbunden, muss es Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich möglich sein, diese Verantwortung auch erhalten und ausüben zu können.


Das Elterngrundrecht bedarf einer Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Er kann dabei — abweichend vom bisherigen Recht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) — die rechtliche Elternschaft des leiblichen Vaters neben der Mutter und dem rechtlichen Vater vorsehen. Hält er dagegen an einer Beschränkung der rechtlichen Elternschaft auf zwei Elternteile fest, muss zugunsten des leiblichen Vaters ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, das ihm ermöglicht, anstelle des bisherigen rechtlichen Vaters selbst rechtlicher Vater seines Kindes zu werden. Letzterem genügt das bisherige Recht vor allem deshalb nicht, weil es nicht erlaubt, eine bestehende oder vormalige sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem leiblichen Vater sowie dessen bisherige Bemühungen um die rechtliche Vaterschaft zu berücksichtigen.

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